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5.6 Die Illusion der Unabhängigkeit

Von Derek Prince:

„... und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ (1 Mose 3,5) Das ist sicherlich ein hohes und lobenswertes Ideal – wie Gott zu sein. Was könnte daran falsch sein? Im Munde Satans jedoch – der in Form einer Schlange erschien – verleitete es Adam und Eva zu einem Handeln, das in einem Fiasko endete und dessen schlimme Konsequenzen sich auf all ihre Nachkommen ausgewirkt haben.

Was stellte die unsichtbare Falle dar, der Adam und Eva zum Opfer fielen? Sie lag in dem unausgesprochenen, aber angedeuteten Beweggrund – d.h., dem Versprechen der Unabhängigkeit: Wenn man Gut und Böse erkennt, ist man frei seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Man ist nicht mehr abhängig von Gott.

Dieses selbst bestätigende Verlangen nach Unabhängigkeit ist auf dem Wege der Vererbung auf die gesamte von Adam und Eva abstammende Menschheit übertragen worden. Es ist das charakteristische Merkmal des „alten Adams“ – die gefallene, sündhafte Natur, die uns allen anhaftet.

Verschiedene Wege zur Unabhängigkeit

Historisch gesehen hat die Menschheit auf der Suche nach Unabhängigkeit von Gott viele verschiedene Wege eingeschlagen. Der erste davon ist der Weg der Erkenntnis. Im Paradies gab es zwei besondere Bäume – den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis. Es war ein kritischer Augenblick in der Geschichte, als sich Adam und Eva von dem Baum des Lebens ab- und dem Baum der Erkenntnis zuwandten.

Seit diesem Zeitpunkt ist das Bestreben, Erkenntnis zu erlangen, eines der Hauptziele der Menschheit. Im Verlauf der letzten zwei oder drei Jahrhunderte ist dies durch eine ständig zunehmende Fokussierung auf die Wissenschaft zum Ausdruck gebracht worden. (Das englische Wort „science“ ist eine direkte Ableitung des lateinischen Wortes „scientia“, was „Wissen“ oder „Erkenntnis“ bedeutet.)

Diese Explosion im Bereich der Wissenschaft hat jedoch die grundlegenden Probleme der Menschheit – Ungerechtigkeit, Grausamkeit, Krieg, Armut, Krankheit – nicht gelöst. Im Gegenteil, in gewisser Weise hat sie diese sogar noch vermehrt.

Die Wissenschaft hat dem Menschen Waffen der Massenvernichtung in die Hand gegeben, durch die die gesamte menschliche Rasse ausgerottet und die ganze Erde eine trostlose Wüste werden könnte. Nicht nur dass: Einige dieser Waffen befinden sich im Besitz von grausamen und bösartigen Menschen, die sich nicht durch irgendwelche Rucksichten auf Barmherzigkeit oder Moral davon abhalten lassen würden, sie auch einzusetzen.

Der zweite Weg, den die Menschheit einschlug, um von Gott unabhängig zu sein, ist zunächst überraschend. Es ist der Weg der Religion. Auf unterschiedliche Art und Weise haben Menschen religiöse Regeln und Anbetungssysteme entwickelt, die so vollständig und allumfassend sind, dass sie Gott selbst überhaupt nicht mehr brauchen. Sie müssen nur ihre Regeln einhalten.

Das trifft für einige Formen zu, die in mehreren Hauptreligionen der Welt praktiziert werden – im Judaismus, Islam, Buddhismus und sogar in verschiedenen christlichen Versionen. Innerhalb all dieser Religionen können sich Menschen derart zufrieden geben mit ihren Regeln und Verfahrensweisen, dass sie von Gott selbst völlig unabhängig sind. Deshalb tun sich ernsthafte, religiöse Menschen oft am schwersten, wenn es darum geht, die Gnade des Evangeliums – die man nicht verdienen kann– anzunehmen.

Ein weiterer Weg, durch den sich der Mensch von Gott unabhängig machen will, ist die Anhäufung von enormen finanziellen und materiellen Gütern. Jesus erzählte ein Gleichnis von einem reichen Landbesitzer, der so eine reiche Ernte hatte, dass der Platz in seiner Scheune nicht ausreichte. Er beschloss, noch größere Lagerungsmöglichkeiten zu schaffen, um danach zu seiner Seele sagen zu können: „Liebe Seele, du hast einen Vorrat für viele Jahre; habe nur Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!“ Aber Gott sprach zu ihm: „Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ (Lukas 12,16-20)

Unzählige Menschen haben sich im Lauf der Geschichte von diesem Verlangen nach Unabhängigkeit verleiten lassen, den gleichen tragischen Fehler zu machen. Zahllose Menschen machen diesen Fehler auch heute noch.

Dieses Verlangen, von Gott unabhängig sein zu wollen, ist das kennzeichnende Merkmal all derer, die dem Königreich Satans angehören – Engel in Rebellion, Dämonen, die gefallene Menschheit. Es ist auch kennzeichnend für die „Welt“, die Jesus folgendermaßen von seinen Jüngern unterschied: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.“ (Johannes 17,16)

In diesem Sinne besteht die „Welt“ aus all den Menschen, die sich niemals der Autorität des von Gott eingesetzten Königs – dem Herrn Jesus Christus – untergeordnet haben. Einige von ihnen sind moralische, religiöse Menschen, aber wenn sie mit der Forderung Gottes, sich der Herrschaft Jesu uneingeschränkt unterzuordnen, konfrontiert werden, kommt der rebellische, unabhängige „alte Mensch“ zum Vorschein und sie weisen Gottes Angebot „der Errettung durch Gnade allein“ zurück.

Die einsame, verfremdete Menschheit

Das Verlangen, von Gott unabhängig zu sein, unterscheidet die Menschen von den übrigen Geschöpfen Gottes, die in bedingungsloser Abhängigkeit zu ihren Schöpfer miteinander leben.

Unter den Gestirnen gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass sie sich nach Unabhängigkeit sehnen. „Du hast den Mond gemacht, das Jahr danach zu teilen; die Sonne weiß ihren Niedergang.“ (Psalm 104,19) „Er zählt die Sterne und nennt sie alle mit Namen.“ (Psalm 147,4)

Wie turbulent die Elemente auch manchmal zu sein scheinen, sie gehorchen dennoch immer ihrem Schöpfer – „Feuer, Hagel, Schnee und Nebel, Sturmwinde, die sein Wort ausrichten“ (Psalm 148,8)

Das gleiche gilt für die Tiere. „Die jungen Löwen, die da brüllen nach Raub und ihre Speise suchen von Gott.“ (Psalm 104,21) „Da ist das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelt`s ohne Zahl, große und kleine Tiere ..... Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit.“ (Psalm 104,25 und 27) Was die Vögel anbelangt, so sagt uns Jesus: „Euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“ (Matthäus 6,26)

Kein Wunder, dass sich der rebellische Mensch manchmal einsam fühlt und sich dem Universum gegenüber – in dem die übrigen Kreaturen alle in bedingungsloser Abhängigkeit von ihrem Schöpfer miteinander leben – verfremdet vorkommt.

Der Weg zurück in die Abhängigkeit

Am Kreuz stellte Jesus einen zweifachen Ausweg für unseren gefallenen Zustand zur Verfügung. Erstens zahlte er an unserer Statt die gesamte Strafe für alle unsere Sünde, wodurch Gott unsere Sünden vergeben konnte, ohne dabei seine eigene Gerechtigkeit zu verletzen. Zweitens identifizierte sich Jesus auch mit dem unabhängigen, selbstsüchtigen „Ich“, das unsere gefallene Natur beherrscht. In Jesus wurde dieser Rebell hingerichtet. „Wir wissen ja, dass unser alter Mensch (der Rebell) mit ihm gekreuzigt ist.“ (Römer 6,6)

Um Jünger Jesu zu werden, muss jeder einzeln von uns dieses zweifache Heilmittel anwenden: Erstens müssen wir dafür sorgen – durch Buße und Glauben – dass all unsere Sünden vergeben worden sind. Zweitens müssen wir das Todesurteil annehmen, das über unser rebellisches unabhängiges „Ego“ ausgesprochen worden ist.

Deshalb hat Jesus Bedingungen an seine Jünger gestellt: „So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.“ (Lukas 14,33)

Das Wort, das hier mit „lossagen“ übersetzt wurde, könnte man auch als „sich verabschieden von“ wiedergeben. Ein Jünger Jesu zu werden heißt, dass man sich verabschieden muss von allem, auf das man sich normalerweise verlässt – Familie, Freunde, Geld, Karriere, Ehre oder Ruhm dieser Welt. Nachdem wir uns wirklich losgesagt haben von all diesen Dingen, wird Gott uns dann vielleicht diejenigen wieder zurückerstatten, die in seinen Plan für unser Leben passen. Aber wir sind nun nicht mehr Eigentümer, sondern nur noch Verwalter und müssen uns dafür verantworten, wie wir das, was uns anvertraut ist, einsetzen. Wir sind jedoch ausschließlich von Gott abhängig.

Manchmal bedarf es möglicherweise einer Krise – oder sogar einer vermeintlichen Katastrophe –ehe wir bereit sind, unsere Abhängigkeit von Gott voll anzuerkennen. In diesem Zusammenhang fällt mir die Reise des Paulus nach Rom ein, die in Apostelgeschichte 27 beschrieben ist. Gott hatte einen ganz bestimmten Plan, weswegen Paulus nach Rom gehen sollte. In seiner Eigenschaft als „Apostel für die Nichtjuden“ hatte er einen einzigartigen Beitrag zur dortigen Gemeinde zu leisten.

Aber Paulus reiste als Gefangener in Ketten. Das Schiff, auf dem er sich befand, geriet in einen derartigen Sturm, dass zwei Wochen lang weder die Sonne bei Tag noch die Sterne bei Nacht zu sehen waren. Schließlich erlitten sie Schiffbruch an der rauen Küste von Malta, wo Paulus – um das Fass zum Überlaufen zu bringen – dann auch noch von einer giftigen Schlange gebissen wurde (s. Apg. 27,13-28,20). Wenn es Gottes Wille war, dass Paulus nach Rom reisen sollte, warum war er dann unterwegs solchen außerordentlichen Schwierigkeiten ausgesetzt?

Als ich mir darüber Gedanken machte, fiel mir eine Stelle in Apostelgeschichte 27,20 ein: „... all unsre Hoffnung auf Rettung war dahin.“ Das war der Grund für die Schwierigkeiten, die Paulus überwinden musste: Er kam an den Punkt, „an dem alle Hoffnung auf Rettung dahin war“. Jetzt konnte Paulus seine Hoffnung nur noch auf Gott setzen. Nun war Gott in der Lage, auf praktische Weise zu demonstrieren, dass er allein genügt: Er bringt uns an den Punkt, an dem wir vollständig von ihm abhängig sind, um uns zu zeigen, dass man sich wirklich auf ihn verlassen kann.

Als Paulus diesen Punkt völliger Abhängigkeit von Gott erreicht hatte, war er für seinen Dienst gegenüber den Christen in Rom ausgestattet. Seine Reise dorthin hatte ihn vorbereitet. Befreit von jeglicher Form der Selbstgenügsamkeit, war er ein hingegebenes Gefäß, durch das der Segen Gottes auf die römischen Christen überfließen könnte. Wir vergessen manchmal, dass Paulus – obwohl er ein Apostel war – gleichzeitig noch ein Jünger war und als solcher der Disziplin des Herrn unterstellt war.

Im Laufe der Jahre habe ich diese Lektion der völligen Abhängigkeit von Gott allmählich gelernt. Ich muss gestehen, dass ich ein langsamer Schüler war. Gott hat verschiedene Umstände zu verschiedenen Zeiten benutzt, um mich diese Lektion zu lehren, aber ich habe eines erkannt: Je mehr ich mich von Gott alleine abhängig war, desto mehr hat er mich durch die daraus folgenden Auswirkungen überrascht – Auswirkungen, die es niemals gegeben hätte, solange ich mich auf meine eigenen Bemühungen verließ.

Die Kapitulation Jakobs

Jakob ist eine jener Personen in der Bibel, die einen sprichwörtlichen körperlichen Kampf durchfechten mussten, ehe sie ihre Unabhängigkeit aufgeben konnten. Als junger Mann war er schlau, ehrgeizig und auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Er nutzte die momentane körperliche Schwäche seines Bruders aus, um sich von ihm dessen Erstgeburtsrecht für eine Schüssel Suppe zu verkaufen. Danach spielte er seinem blinden Vater Isaak ein Täuschungsmanöver vor, indem er vorgab, Esau zu sein, um somit den väterlichen Segen – der normalerweise mit dem Erstgeburtsrecht einherging – zu erhalten.

Aber weder das Erstgeburtsrecht noch der väterliche Segen wirkten sich zu Jakobs Vorteil aus. Um sich dem Zorn Esaus zu entziehen, floh er nach Mesopotamien und kam als Flüchtling bei seinem Onkel Laban unter, wo er erneut seine Schlauheit unter Beweis stellte. Er heiratete die zwei Töchter Labans und erwarb den größten Teil von dessen Reichtum.

Dann gab ihm der Herr zu verstehen, dass es an der Zeit war, in das Land seiner Erbschaft zurückzukehren. Auf der Rückkehr dorthin begegnete er jedoch einem mysteriösen Fremden, mit dem er die ganze Nacht hindurch kämpfte. Schließlich verrenkte ihm der Fremde den Hüftmuskel (den stärksten Muskel in seinem ganzen Körper), so dass sich Jakob in hilfloser Abhängigkeit an ihn klammerte.

Erst nach dieser Begegnung war Jakob in der Lage, tatsächlich zu seiner Erbschaft zurückzukehren. Aber für den Rest seines Lebens musste er hinken – als äußeres Zeichen der aufgegebenen Unabhängigkeit.

Wer war der Fremde, der mit Jakob kämpfte? Zuerst wird er als ein Mensch bezeichnet, aber am nächsten Morgen sagte Jakob: „Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen.“ (1 Mose 32,24-30) Später machte der Prophet Hosea folgende Aussage im Hinblick auf diese Begegnung: „Er (Jakob) kämpfte mit dem Engel ... .“ (Hosea 12,5)


Diese Person war also ein Mensch, aber dennoch Gott und außerdem auch ein Engel. Es gibt nur eine einzige Person im gesamten Universum, auf die diese Beschreibung zutrifft: Ein Mensch und dennoch Gott gleichzeitig ein Bote Gottes. Es ist die Person, die in der Geschichte der Menschheit als Jesus von Nazareth erschien – ein Mensch, aber dennoch Gott und ein Bote Gottes an die Menschen.

Das Schicksal Jakobs wurde durch diese Begegnung endgültig besiegelt. Danach wurde ihm sein Erbe zurückerstattet und er versöhnte sich auch wieder mit seinem Bruder Esau.

Vielleicht hast du in dieser Erfahrung Jakobs einen Teil deiner selbst wiedererkannt. Du hast ebenfalls mit deiner eigenen Kraft gekämpft, um ein geistliches Erbe anzutreten, dass Gott deiner Meinung nach für dich bereitgestellt hat und dass dir dennoch irgendwie immer noch verschlossen ist. Wenn das so ist, dann musst du genau das tun, was Jakob getan hat: Du musst dich dem Herrn Jesus Christus bedingungslos anvertrauen.

Hier ist ein Gebet, das du dann in dieser Situation beten kannst:

Herr Jesus, ich glaube, dass du wirklich mein Retter bist und dass du ein Erbe für mich bereitgestellt hast. Aber ich erkenne nun, dass ich mich auf meine eigene Stärke verlassen habe, um dieses Erbe anzutreten. Dafür möchte ich jetzt Buße tun! Ich lege meine Unabhängigkeit nieder und stelle mich völlig unter deine Herrschaft. Von nun an will ich nur von deiner allumfassenden Gnade abhängig sein.

Aber vergiss dabei eines nicht: Es könnte sein, dass du von nun an hinkst!

Weitere exzellente Literatur von Derek Prince gibt es bei:

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